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Don't mess with Texas!

Don't mess with Texas!

Everything's bigger in Texas: Alles ist größer in Texas. Auch die Angst, das eigene Motorrad hätte zu wenig Hubraum. Also muss man sich behelfen.

Um 1950 sorgt ein gewisser Bob Obenburger aus Fort Worth, Texas, für Aufsehen, weil er die anerkannt größten Stroker-Motoren aus Harley-Davidson Knuckleheads baut: der Begriff „Texas Stroker“ war geboren. Und fasziniert bis heute.

Unser Mann für die ganz alten Eisen, Paul Jung, hat in einem kleinen historisierenden Selbstversuch etwas gemacht, für das es heutzutage eigentlich gar keinen Grund gibt: einen solchen „Texas Stroker“ Knucklehead-Motor selber zu bauen. Lange vorher, schon in den 1930ern, flößen Hubraumhungrige ihrer ohnehin gut ausgestatteten Knucklehead noch ein paar cubic inches mehr ein – nur eben ohne die heutigen fertigen Kits, ohne Step By Step DIY-Anleitungen auf youtube. Einfach alles selber machen. Weil man‘s will. Und kann.

Wir erinnern uns dunkel: „Stroker“ heißt, für mehr Hubraum sorgen durch Vergrößerung des Kolbenhubs (Stroke), also der Strecke, die der Kolben zurücklegt, während der Durchmesser (Bore) gleich bleibt, (aber dazu später). Doch wo soll die längere Strecke plötzlich herkommen? Und wie kriegt man dann noch eine brauchbare Kompression zustande?

Nun hat nicht jeder mal eben einen Knucklehead-Motor für solche Experimente zur Hand und schon gar nicht den Erfahrungshubraum und den Ehrgeiz, so ein Projekt in der Freizeit durchzuziehen.

Um so besser, dass Paul seinen Weg nach Texas detailgenau schildert:

Dem sportlich ambitionierten Harley-Fahrer

Ende der 1930er Jahre fiel natürlich sofort auf, dass im Vergleich zum Vorgängermodell Flathead mit 74 oder sogar 80 cu.in. seine 61-Zoll-OHV-Harley-Davidson deutlich weniger Hubraum hatte. Mehr Leistung – ganz nett! Aber weniger Hubraum? Bei einem NEUEN Motorrad? Geht gar nicht!

Allerdings: so etwas wie Aftermarket-Schwungräder oder Big-Bore-Zylinder, die man beim nächstgelegenen Harley-Händler oder im Geschäft für Spezialteile kaufen konnte, gibt es nicht. Also muss man ein wenig Erfindergeist haben, das komplexe System von Stroke, Bore, Kompression, Kurbelwelle etc. durchschauen und ein guter Mechaniker sein - oder einen kennen.

Wer dann in Hubraumologie gut aufgepasst hat, weiß, dass der 61” Knuckle-Motor einen Hub von 3-1/2” hat und die großen Flatheads der U-Serie einen Hub von 4-9/32”, wobei beide die gleiche Bohrung von 3-5/16” hatten… Na? Für Motorenchirurgen dauert es nicht lange, bis bei sowas der Groschen fällt: Heureka – jetzt geht's los! Eine Vergrößerung des Hubraums auf 74" oder 1209 ccm, kombiniert mit einem zusätzlichen Drehmoment, das durch den längeren Hub (+25/32”, um genau zu sein) erzeugt wird, alles getoppt von obenliegenden Ventilen: Das ist ja genau das, was auf dem Wunschzettel steht.

Aber kleinen Moment noch: könnte man nicht die dickwandigen 61”-Zylinder auf die 3-7/16”-Bohrung der ULH-Flatheads bringen? Das wären dann weitere 5 Kubikzoll, so dass wir auf tierische 79” oder 1300 ccm kommen könnten. Heilige Zierniete!

Soweit der Plan. Jetzt muss man nur noch den Typen

an der Gebrauchtteiletheke überzeugen (Swap Meets waren damals nicht üblich) oder eben einen Satz neuer U-Modell-Schwungräder kaufen, die Scheiben in Ihren Kurbelgehäusen austauschen, optional die Zylinder aufbohren und Bratz! schon schlucken die Kumpels mit ihren katalogbraven Knuckleheads oder Indian Big Chiefs beim nächsten kleinen Wochenendrennen ordentlich Staub.

Soviel zur Historie. Spulen wir kurz vor bis 2019. In Paul Jungs Keller sammeln ein paar Teile seit Jahren Staub an: ein Satz Kurbelgehäuse, bestehend aus einer originalen rechten Seite von 1938 und einer Zubehör-Seite links sowie ein Paar Harley U-Modell-Schwungscheiben – die perfekte Einladung, um aus diesen Teilen einen Stroker-Motor zu bauen ...fast.

Als Paul dann auf dem Technorama-Jumble in Ulm über einen vorderen 1938er Zylinderkopf mit kleinem Einlass stolpert und kurz darauf das hintere Geschwister bei ebay sichtet, gab es keine Ausreden mehr.

Also kurz Schwungräder austauschen und los! Naja, noch nicht so ganz: 61"-OHV-Schwungräder haben einen Durchmesser von 8-1/8" und 74"/80"-Flathead-Scheiben haben 8-9/32" - flutschen also nicht so einfach in frühe Knuckle-Gehäuse. Da muss man schon die Kurbelgehäuse bearbeiten - oder die U-Modell-Scheiben runterdrehen. Da die nicht werksangepassten Gehäusehälften sowieso auf die Fräse müssen, erhält man sich lieber das Gewicht und Drehmoment der Flathead- Schwungräder.

Zeit für die Kolbenplanung.

Früher verwendeten die meisten Mechaniker die serienmäßigen OHV-Kolben, aber die sind zu lang und auch die Kompressionshöhe passt nicht, so dass man diese kürzen und Kompressionsplatten einbauen muss. Kleiner Nachteil von Strokerplatten ist aber, dass dann der Ansaugstutzen zu kurz ist. Um das zu vermeiden, verwendeten einige Schrauber modifizierte Autokolben oder gossen sie gleich selber (ja, sowas gab´s damals). Paul griff mal kurz ins W&W Regal für ein Paar S&S Schmiedekolben. Es gibt auch so noch genug zu tun, denn alle Kolbenvarianten sind leichter als serienmäßige, sodass die Schwungscheiben neu gewuchtet werden müssen.

Nach dem Auswuchten der Schwungräder, können diese zusammen mit den Pleueln und den Zapfen zur Kurbelwelle montiert werden. In der Tradition unserer damaligen Motorenbauerkollegen wird ein zweiteiliger Pinion Shaft benutzt, wie es 1938 gemacht worden wäre - und weil mehrere davon herumliegen. Solange die zweiteilige Verbindung dicht und präzise ist, wird sie genauso funktionieren wie damals. Jetzt nur noch das Steuergehäuse mit einer Originalnockenwelle und dem restlichen Geklöter füllen, klassischen Deckel drauf, fertig ist der Unterbau.

Leider sind grade keine originalen Harley 4-Rippen-Zylinder zur Hand ;-( rufen Sie uns an, wenn Sie ein Paar haben ;-) also wird ein Satz 1941er Zylinder vom Typ 61" verwendet, gebohrt auf 3-7/16". Flupp – passt - jetzt ist das zweite Stockwerk auf der Tagesordnung:

Hier gibt‘s wenig Ausgefallenes: Die Zylinderköpfe werden mit neuen Ventilen, Führungen, Federn und Hüllblechen nach den Werksvorgaben restauriert und zusammengebaut. Das Ganze mit den Zylindern zu verflanschen ist dann so einfach, wie einen Serienmotor zu bauen. Ein Linkert M5, der von 1936-1939 Standard-Ausrüstung für eine Harley-Davidson Knucklehead war, montiert auf einem 3-Schrauben "Babypopo" Manifold, fertig ist die Gemisch-Abteilung. Jetzt noch Stößelstangen, Abdeckungen, Zündsystem - und der 80 cu in Texas Stroker Knucklehead ist krawallbereit – mal eben kurz in den passenden Rahmen stecken und weiter geht’s:

Der zweite Teil dieser Geschichte schraubt sich

zusammen aus Teilen, die Paul auf Swap Meets, im Internet und in seinem durchaus weitgelötetem Freundenetzwerk zusammensammelt – mit kleinen Ergänzungen aus den W&W-Regalen.

Erst Mal Blick aufs Blech, natürlich auf den Tank: ein gediegen gealtertes Original aus einer doppelt speziellen Harley Ära: Aermacchi und AMF. Aermacchi, ein italienischer Flugzeughersteller, stieg nach dem zweiten Weltkrieg in die Produktion von Motorrädern ein, Harley kaufte die Abteilung 1960 und erweiterte so das eigene Programm mit kleineren Hubräumen. Als 1969 AMF („spezialisiert“ u.a. auf Bowlinganlagen, Atomreaktoren, Tauchausrüstung...) Harley übernahm, kam es zu diversen Design-Auswüchsen, die bis heute Legendenstatus genießen und sehr gesucht sind - wie z.B. dieser Tank. Der Tacho passt hier zwar perfekt rein, weil vom gleichen Modell, war aber normalerweise im Scheinwerfergehäuse untergebracht.

Weitere Schmankerl: der Öldruckmesser von einem US-Oldtimer, gefunden auf Cuba, der verchromte Fendertipp für ein schöneres, gekapptes Fenderende, das gechoppte Sportsterschutzblech vorne an der Springergabel, Umbau auf Mousetrap-Schaltung und kurze, kurvenfreundliche „The Cyclery“ Klappfußrasten statt terrassengroßer Trittbretter. Kurz: Ein historisch korrekt aufgestroketer Knucklehead-Motor in einem konsequent konstellierten Bobber und mit einer klaren Ansage an die anderen Verkehrsteilnehmer:

Don’t Mess with Texas.